Pressebeicht Badische Zeitung

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Ein riesengroßes spirituelles Bedürfnis

Dominik Bloedner, Di, 30. August 2022

BZ-INTERVIEWmit Norbert Scheiwe von der Badischen St. Jakobusgesellschaft über das Pilgern, die Religion und Hape Kerkeling.

Was treibt die Menschen an, die nach Santiago zum Grab des Apostels Jakobus pilgern? Dominik Bloedner sprach mit Norbert Scheiwe, Präsident der Badischen St. Jakobusgesellschaft.

BZ: Herr Scheiwe, den Kirchen laufen die Gläubigen in Scharen weg, Pilgern jedoch erfreut sich steigender Beliebtheit.

Scheiwe: Das ist kein Widerspruch. Die spirituellen Bedürfnisse der Menschen sind riesengroß, aber nicht mehr nur gebunden an die klassische Religion. Kirchen geben vielen Menschen nicht mehr die Antworten, die sie suchen, viele definieren ihre Religiosität heute selber.

BZ: Geht es noch um Buße?

Scheiwe: Der Weg nach Santiago war nie ein reiner Bußweg, er war immer auch ein Initiationsweg. Es geht darum, als anderer zurückzukommen, als der man losgezogen ist. Früher waren Beichte und Kommunion in der Kathedrale von Santiago wichtig, heute geben sich die Leute ihren Ablass selber. Da gibt es dieses neue Ritual: Die Pilger verbrennen am Kap Finisterre ihre bis dahin getragene Kleidung, um mit dem alten Leben abzuschließen. Alles verändert sich, heute ist die Frage der Buße kein zentrales Thema. Pilgern kann befreiend und lustig sein.

BZ: Was treibt die Pilger heute an?

Scheiwe: Religiöse Motivation ist noch vorhanden, aber nicht mehr bei der Mehrheit. Es geht um Abenteuer, Begegnungen und darum, Abstand zu gewinnen und für sich zur Ruhe zu kommen. Nicht von ungefähr gehen viele Menschen auf die Pilgerreise, die gerade Brüche und Übergänge in Leben haben: Krisen, Schule, Beruf, Rente, Trennungen. Fragt man Millionen Pilger, bekommt man Millionen verschiedene Antworten.

BZ: Was macht das Pilgern mit einem?

Scheiwe: Miteinander unterwegs zu sein und sich zu begegnen, die Strapazen des Weges teilen – das öffnet Herzen und Seelen und hat eine heilende Wirkung.

BZ: Hat mit dem Buch des Entertainers Hape Kerkeling „Ich bin dann mal weg“, ein Bestseller im Jahr 2006, der verfilmt wurde, der Jakobus-Boom begonnen?

Scheiwe: Kerkelings Buch war nicht der Auslöser für steigende Pilgerzahlen, das waren und sind die spirituellen Bedürfnisse der Menschen. Buch und Film haben dann vielen den Impuls gegeben.

BZ: Man spricht von Pilgertourismus.

Scheiwe: Pilgern und Tourismus sind zwei grundverschiedene Dinge, das muss man völlig wertfrei voneinander trennen.
BZ: Wie kamen Sie auf den Jakobsweg?

Schweiwe: Als kleiner Ministrant in den 1960er Jahren in Lahr hatten wir einen Priester, der glühender Jakobusverehrer und Pilger war. Die tollen Geschichten und Diavorträge fesselten mich. Das war lange verschüttet und kam durch die Arbeit im Jugendwerk wieder hoch. Wir sind in Etappen mit rund 3000 Jugendlichen und Erwachsenen zweimal den Weg gelaufen.

Norbert Scheiwe, 70, war von 1988 bis 2016 Leiter des von der Caritas getragenen Christophorus Jugendwerks in Oberrimsingen. Er ist Präsident der 1999 gegründeten Badischen St. Jakobusgesellschaft.